Texte zu Sven Schalenberg

Dr. Nicole Nieraad-Schalke zu Sven Schalenberg – Tief in Rheinhessen

Vernissage des Kunstvereins Ingelheim am 21.08.2016,

Kunst produzieren, Kunst tauschen, Kunst sammeln, Kunst ausstellen, Kunst unterrichten, Kunst hinterfragen… All dies – und noch mehr – tut der 52-jährige Sven Schalenberg, den ich Ihnen heute vorstellen darf. Mit der hier präsentierten Gemäldeserie würdigt Sven Schalenberg seine rheinhessische Heimat, in der er seit fast drei Jahrzehnten lebt. Zum Studium der Freien Bildenden Kunst und Malerei zog es ihn als jungen Maler von Bad Breisig nach Mainz. Nach einem zusätzlichen Abschluss als wissenschaftlich-anatomischer Zeichner arbeitete er fünf Jahre in der HNO-Abteilung der Uni Mainz.

2003 zog Sven Schalenberg mit seiner Frau und zwei Kindern nach Hahnheim, 35 Kilometer von Ingelheim entfernt. Sein privater und gleichzeitig künstlerischer Wirkungsort ist seitdem der Wahlheimer Hof, ein ehemaliger Wirtschaftshof des uns gut bekannten Zisterzienserklosters Eberbach. Die Ursprünge des Wahlheimer Hofs liegen im 13. Jahrhundert. Hinter dessen dicken, denkmalgeschützten Mauern findet Sven Schalenberg seine meditative Ruhe. Die Inspirationen finden zu ihm, in Form von Fotos und unzähligen Fachbüchern, die sich in seiner Wohnung und seinem Atelier stapeln. Lektüre zu Kunstgeschichte, zu Philosophie, zu Maltechniken. Auf seiner Homepage findet sich gar eine Literaturliste, die von der Bibel bis hin zum Greenpeace-Magazin reicht. In der Liste entdeckt man auch einen Lebensratgeber mit dem Titel „Zen in der Kunst des Pinselwaschens“ – aus Sven Schalenbergs eigener Feder, aber leider noch nicht ganz fertig gestellt… Auf der Internetseite sind auch eigene philosophische Gedanken dokumentiert, z.B. über die so schwierige Frage „Was ist Kunst?“. All diese Inspirationen finden ihren Weg wie selbstverständlich in Sven Schalenbergs Kunst.

 

1988 wurde bei ihm Multiple Sklerose diagnostiziert. Mit seiner Krankheit ändert sich auch sein künstlerischer Duktus immer mehr. Zeit spielt nun eine größere Rolle als zuvor, auch ist der Kunstschaffensprozess anders. Zunehmend aufs Atelier beschränkt, nutzt er häufig Fotos Anderer als Inspiration und Vorlage: Fotos der Ortsgeschichte und aktuelle Landschaftsbilder befreundeter rheinhessischer Fotografen. Beim Malen und Kreieren nimmt er, körperlich eingeschränkt, aber wenig Rücksicht auf sich selbst und sieht sich eher als Pinsel bzw. Mittel zum Zweck: zum Zusammenfließen unterschiedlichster Inhalte, die ihn berühren.

Allgemeines zu Werk:

Essentiell für das Verständnis seiner Kunst ist der Begriff „DIALOG“. Sven Schalenberg gibt – oder sucht – Antworten auf Fragen, die ihm die Kunstgeschichte, die Geschichte allgemein, die Philosophie, aber auch die heutige Gesellschaft stellen. Er hat dabei keine Angst vor großen Meistern. Er hat keine Hemmungen, sich den weltbekannten Werken von Michelangelo, Spitzweg, Dürer oder Richter anzunehmen, ihre Figuren und Motive zu zitieren und zu aktualisieren. Im Gegenteil: Je höher die Qualität des malerischen Vorbilds, umso größer ist für Sven Schalenberg die Inspiration und desto größer der künstlerische Austausch. Er hat Respekt, aber keine Ehrfurcht vor den Werken anderer Künstler. Denn Ehrfurcht beinhaltet ein großes Maß an Distanz, doch die ist Sven Schalenberg in der Kunst fremd. Lieber geht er in den DIALOG mit anderen Künstlern.

Mit diesem künstlerischen Ansatz reicht Sven Schalenbergs Œuvre auch in Bereiche der Metakunst, der Appropriation Art hinein. Er kopiert bewusst und mit strategischer Überlegung die Werke anderer Künstler, wandelt diese um und antwortet damit auf Fragen, die diese Gemälde ihm persönlich stellen. Diese Aneignung in der Appropriation Art kann bei Schalenberg stets als Hommage verstanden werden.

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So geht das erste Bild, auf das ich heute verweisen möchte, in den DALOG mit Michelangelos monumentaler Deckenmalerei in der Sixtinischen Kapelle: „Noah pflanzt Reben in Rheinhessen“, hinter mir zu Ihrer Linken.

Mit Humor reflektiert Sven Schalenberg die Methoden künstlerischen Schaffens und zeigt den prozesshaften Charakter der Kunst auf. Manchmal ist der leidenschaftliche Kunstsammler auch – Zitat – „so dreist“, diese künstlerischen Antworten mit bewusst kritischer Absicht zu geben, wenn er z.B. ein Gemälde von Markus Lüpertz – einem der bekanntesten Künstler der Gegenwart – „verbessert“. Man sieht keinen Kotau vor Gerhard Richter oder Johannes Grützke, aber eine dialogische Verbeugung.

Und er transformiert kunstgeschichtliche Elemente ins Heute, mahnt vor den Folgen des Klimawandels, vor Treibhauseffekt und Rohstoffknappheit. Sven Schalenberg driftet dabei aber nie in einen düsteren Gesellschafts- oder Kulturpessimismus ab, dafür spricht aus ihm zu viel Humor und Zuneigung für die Menschen, ihre Natur – und das freie Spiel der Malerei.

Rheinhessen-Serie:

Diese Liebe zur Heimat und zu den hiesigen Dorfanekdoten zieht sich auch durch die hier ausgestellte Rheinhessen-Serie. Nach jahrelanger Beschäftigung mit kunstgeschichtlichen Bildern packte Sven Schalenberg, auch mit Blick auf das 200. Rheinhessen-Jubiläum in diesem Jahr, die neue Lust auf Landschaften. Wobei diese neue Lust eigentlich eine alte Lust ist! Schon im Studium galt er als der „Maler des Himmels, der Sonne und des Lichtes“. Aus dieser Zeit stammt das älteste Bild der Ausstellung, das zu Ihrer Rechten hängt. Es zeigt die „Idylle einer Mülldeponie“ in Budenheim und ist ein DIALOG mit Franz-Josef Degenhardts sarkastisch-bösem Lied „Deutscher Sonntag“ und mit dem „Mönch am Meer“ von Caspar David Friedrich.

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Doch auch in den ganz frischen, gerade getrockneten Rheinhessen-Bildern spielt der Himmel eine große Rolle. Oft scheint es, als würden diese Himmel eine eigene Dynamik, fast eine eigene Persönlichkeit besitzen. Diese Himmel „wollen so werden“, so beschreibt der Künstler den für ihn selbst oft ergebnisoffenen Entstehungsprozess.

Konsequent nehmen die Himmel bei den sieben sich auf den ersten Blick stark ähnelnden Ölbildern in Ihrem Rücken zwei Drittel des Bildraums ein. Ein achtes gehört übrigens noch zu dieser Serie, doch wird es aktuell noch im MVB-Forum in Mainz ausgestellt. Nicht nur der Bildaufbau verbindet die acht Gemälde, auch das gleiche Format von 100×80 cm. Und auch der Entstehungsprozess schafft eine Gemeinsamkeit zwischen den acht „Horizont-Bildern“: Für alle, mit Ausnahme des Autobahnmotivs, bot der Wörrstädter Fotograf Thomas Tempel mit seinen rheinhessischen Panoramen die bildnerische Basis. Seine extrabreiten Fotografien entfernen sich bereits durch digitale Prozesse deutlich von der Realität. Sven Schalenberg wiederum tritt nun in den DIALOG mit dem Fotografen, nimmt das fotografisch-entfremdete Panorama als Basis seiner „Serie“, entzerrt es nach oben und unten und verfremdet es damit erneut. So sind die dargestellten rheinhessischen Orte, wie Armsheim, Patenheim oder der Hahnheimer Knopf zwar wiedererkennbar, aber dennoch eine abstrahierte Hinwendung des Künstlers an seine Heimat.

In einen solchen künstlerischen DIALOG mit Rheinhessen tritt Sven Schalenberg auch mit seiner Darstellung des Mainzer Domes direkt neben der Eingangstür. Hier überrascht vor allem das Medium, denn der Künstler hat sich, entsprechend einer vorangegangenen Werkserie, für Holz entschieden, das am unteren „Bildrand“ angekokelt, angezündet wurde. So ergibt sich eine spektakuläre Bildwirkung, die gleichzeitig von der Faszination Sven Schalenbergs für das Abbild von Feuer, Flammen und Sonne kündet.

 

Einen künstlerischen DIALOG mit Rheinhessens Geschichte führt Sven Schalenberg ebenfalls seit einiger Zeit. Grundlage seiner künstlerischen Antworten sind historische Schwarz-Weiß-Fotografien, die er als „Vintage“-Ölbilder in den unterschiedlichsten Formaten umsetzt. Diese finden Sie zu Ihrer Rechten. Stellen Sie sich genau davor, dann werden Sie sehen, dass die abgebildeten Szenerien den Betrachter durch ihre Eigenartigkeit innehalten lassen. Die befremdliche Eigenartigkeit kommt u.a. dadurch zustande, dass die frühe Fototechnik durch ihre lange Belichtungszeit von den Modellen über Minuten ein unbewegliches Starren in die Linse, in Richtung Fotograf abverlangte. Was uns von alten Fotos vertraut erscheint, wirkt durch das veränderte Medium der Ölmalerei befremdlich und neu. Wir werden von den gemalten Personen angestarrt, fast so, als wollten sie uns aus der Vergangenheit dringend etwas mitteilen. Oder uns anklagen. Auf jeden Fall brennt sich der direkte Blick der Vielen ein.

Auch in das Rheinhessen-Projekt ließ Sven Schalenberg Motive der Kunstgeschichte und Philosophie einfließen. So entdeckt der Betrachter immer wieder archaische Gestalten (z.B. „Am Kornacker“, hinter mir links), die sich in der Erde zu schaffen machen. Die ein Loch graben oder eine Rebe einpflanzen, aber am gänzlich „falschen Ort“, z.B. direkt neben der Schnellstraße. Diese Gestalten haben eine besondere Haltung, mit der Sven Schalenberg auf den zeitgenössischen Maler Wainer Vaccari Bezug nimmt.

Mit dem mittlerweile berühmtesten Ölbild seiner Rheinhessen-Serie möchte ich unseren virtuellen Rundgang fast beenden. Sie sehen es ganz hinten, unter der Treppe. Es heißt „Caffée unter dem Angelbaum mit Napoleon Bonaparte 1813“ und verweist auf eine lokale Anekdote, die Sven Schalenbergs Heimat Hahnheim entspringt. Gleichzeitig ist die Anekdote quasi eine Rheinhessen-Erinnerung, wenige Jahre, bevor Rheinhessen überhaupt erst anfing zu existieren. 1813 verweilte Napoleon auf seinem Weg nach Russland drei Tage in Hahnheim. – Erlauben Sie mir den kurzen Einschub, dass er hier durch Ingelheim lediglich hindurchgeritten ist.

– Als Napoleon also auf einem Schimmel namens „Nickel“ durch Hahnheim ritt, soll ihm eine Hahnheimerin eine Kaffeetasse samt Inhalt gereicht haben. Und diese Kaffeetasse soll, einer Reliquie gleich, nach der Berührung von Napoleons Lippen, aufbewahrt und nicht mehr gespült worden sein. Ähnlich wie bei tausenden anderen Reliquien auch verliert sich diese Kaffeetasse jedoch im Dunkel – vielleicht im dunklen Dachboden – der Geschichte. Keiner weiß also, wo und ob sie noch existiert. In Sven Schalenbergs Bild hingegen wird die Kaffeetasse wieder lebendig – und mit ihr die 17 Jahre, in denen wir Rheinhessen französisch waren: von 1797 bis 1814.

Immer wieder DIALOG… Dieser dehnt sich sogar aus bis zur Poesie. So inspirierten Sven Schalenbergs Bilder den Schriftsteller Rüdiger Jung, der in der Nähe von Marburg lebt und Gedichte in der Tradition japanischer Haikus verfasst. Zum „Napoleonbild“ dichtete Rüdiger Jung vor einigen Wochen:

 

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„Dem Maler

sei Dank

der das Pferd

das sich aufbäumt

festhält

 

in diesem

Moment

 

daß dir

nicht schwindelt

korsischer

Dreispitz

 

Hoch die Tassen

Bonaparte

hättest du

das gute Teil

erwählt“

 

Für das 200. Rheinhessenjubiläum ist Sven Schalenberg auch den DIALOG mit der Musik eingegangen. Der leidenschaftliche Sänger und Liedermacher hat eine Hymne auf Wein und Landschaft gedichtet und achtstimmig selbst aufgenommen – ein Leichtes für das Mitglied des Hahnheimer Gesangsvereins. Die Hymne trägt den Titel „Moguntia“ und beginnt mit den Worten: „Ein Loch hab ich gegraben…“ Es kann kein Zufall sein, dass sich dieser Lochgrabende Bauer wie ein roter Faden immer wieder auch durch Schalenbergs Rheinhessen-Bilder zieht. Und wo er auftaucht, da darf er bleiben.

Sven Schalenberg erhofft sich vom Rezipienten die Bereitschaft, mitzugehen. Und zwar nicht nur die Wege mitzugehen, die sich tausendfach durch rheinhessische Landschaften winden und sich immer wieder in Schalenbergs Gemälden finden. Sondern mitzugehen auf Schalenbergs geistigem Weg, der ihn zu diesem künstlerischen Ergebnis geführt hat. „Gute“ Kunst funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Doch je tiefer man mitgeht, oder umso tiefer man mit dem Bauern, dem Pflanzer in der rheinhessischen Erde gräbt, umso mehr landet man im Kopf Sven Schalenbergs. Glücklicherweise scheut er sich nicht davor, seine Kunst zu erklären. Hier steht er wieder ganz in der Tradition der Metakunst, indem er seine Gedanken und Inspirationen gerne offen legt. Nutzen Sie also jetzt die seltene Gelegenheit und kommen Sie mit Sven Schalenberg in den – ihm so wichtigen – DIALOG!